Wie passen die Liebe Gottes und das Leid der Welt
zusammen?
 

Das Problem, menschliches Leiden mit der Existenz eines liebenden Gottes in Einklang zu bringen, ist nur solange unlösbar, als wir mit dem Wort 'Liebe' eine triviale Bedeutung verbinden und die Welt so ansehen, als sei der Mensch ihr Mittelpunkt.

Der Mensch ist nicht der Mittelpunkt. Gott existiert nicht um des Menschen willen.

“Du hast alle Dinge geschaffen, und zu deiner Freude sind sie da und wurden erschaffen.” heißt es in Offenbarung 4, 11. Wir sind dazu erschaffen, daß Gott uns lieben könne; daß wir zu Wesen werden könnten, in denen die göttliche Liebe 'mit Wohlgefallen' ruhen könne. Wer verlangt, Gottes Liebe solle sich mit uns, wie wir sind, begnügen, der verlangt, Gott solle aufhören, Gott zu sein. Weil Er ist, was Er ist, darum muß Seine Liebe - das liegt in der Natur der Sache -, behindert und abgestoßen werden durch gewisse Makel an unserer jetzigen Gestalt; und weil Er uns bereits liebt, muß Er uns liebenswert zu machen suchen. In unseren besten Stunden vermögen wir es nicht einmal zu wünschen, Er möchte sich mit unserer gegenwärtigen Unreinheit abfinden - ebenso wenig wie das Bettelmädchen wünschen konnte, daß der König sich mit ihren Lumpen und ihrem Schmutz abfinden sollte.
Nicht, was wir hier und jetzt unser 'Glück' nennen würden, ist das Ziel, das Gott vor allem ins Auge faßt. Aber wenn wir so sind, daß Er uns ungehindert lieben kann, dann werden wir in der Tat glücklich sein. Wenn das Christentum sagt, daß Gott den Menschen liebe, so ist gemeint, daß Gott den Menschen liebt - nicht daß Er sich auf irgendeine unbeteiligte Weise mit unserm Wohlergehen befasse, sondern daß wir, eine schauererregende und überraschende Wahrheit, der Gegenstand Seiner Liebe sind.

Du verlangst nach einem 'lieben' Gott? Du hast ihn.

Der große Geist, den du so leichtfertig beschworen hast, der 'Herrscher schrecklichen Anblicks' ist anwesend: nicht ein greisenhafter Wohlmeiner, der dir schläfrig wünscht, nach deiner eigenen Façon glücklich zu sein; nicht die kalte Philanthropie einer gewissenhaften Obrigkeit, auch nicht die Sorge eines Gastgebers, der sich für das Wohlbefinden seiner Gäste verantwortlich fühlt. Sondern: das verzehrende Feuer selbst, die Liebe, welche die Welten erschuf, beharrlich wie des Künstlers Liebe zu seinem Werk, herrisch wie eines Menschen Liebe zu seinem Hund, fürsorglich und ehrwürdig wie eines Vaters Liebe zu seinem Kind, eifersüchtig, unerbittlich, streng wie die Liebe zwischen den Geschlechtern. Unter dem guten Gott verstehen wir heutzutage fast ausschließlich den 'lieben' Gott; und wir mögen auch recht haben. Aber mit Liebe meinen die meisten von uns in diesem Zusammenhang soviel wie Gutherzigkeit, d. h. den Wunsch, jemand anders glücklich zu sehen, nicht glücklich in diesem oder jenem Sinn, sondern einfachhin glücklich.

Was uns wirklich so passen könnte, das wäre ein Gott, der zu allem, was wir gerade gern täten, sagen würde: 'Was macht es schon, solange sie nur zufrieden sind?' In der Tat, wir möchten nicht so sehr einen Vater im Himmel als vielmehr einen Großvater im Himmel - einen greisen Wohlmeiner, der es, wie man sagt, 'gerne sieht, wenn die jungen Leute sich amüsieren', und dessen Plan für das Universum einfach darauf hinausläuft, daß am Abend eines jeden Tages gesagt werden kann: 'Es war für alle wundervoll.'
Nicht viele Leute, das gebe ich zu, würden ihre Theologie mit genau diesen Worten formulieren; aber eine Vorstellung ungefähr dieser Art verbirgt sich im Hintergrund nicht weniger Köpfe. Und ich mache nicht den Anspruch, eine Ausnahme zu sein: Ich würde sehr gern in einer Welt leben, die nach solchen Grundsätzen regiert würde. Aber da es über die Maßen klar ist, daß dies nicht der Fall ist, so komme ich zu dem Schluß, meine Vorstellung von der Liebe möchte einer Korrektur bedürfen.

Tatsächlich kann man schon von den Dichtern lernen, daß Liebe etwas Strengeres und Großartigeres ist als bloße Gutherzigkeit und Liebheit, daß selbst die Liebe zwischen den Geschlechtern 'ein Herrscher schrecklichen Anblicks' ist, wie es bei Dante heißt. Es gibt Gutherzigkeit in der Liebe; aber Liebe und Gutherzigkeit sind begrifflich nicht gleichen Umfangs, und wenn Gutherzigkeit (in dem oben angegebenen Sinn) von den anderen Elementen der Liebe getrennt wird, schließt sie eine gewisse grundsätzliche Indifferenz gegenüber ihrem Objekt ein und sogar etwas wie Verachtung. 'Gutherzigkeit' kann sehr bereitwillig der Beseitigung ihres Objektes zustimmen - wir alle sind Leuten begegnet, deren 'Güte' gegenüber Tieren sie fortgesetzt dazu führt, Tiere zu töten, damit sie nur ja nicht leiden. Gutherzigkeit, rein als solche, kümmert sich nicht darum, ob ihr Objekt gut oder schlecht wird, sofern es nur nicht leiden muß.

Wenn Gott die Liebe ist, ist Er also, laut Definition, etwas Größeres als bloße 'Güte'.

Und alle Berichte zeigen es deutlich: obwohl er uns oft getadelt und schuldig gesprochen hat, Er hat uns niemals mit Verachtung angesehen. Er hat uns die unerträgliche Ehre erwiesen, uns zu lieben - in dem tiefsten, tragischsten, unerbittlichsten Sinn, den dies Wort nur haben kann."

Auszug aus C. S. Lewis: “Über den Schmerz”



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